Eine immersive musikalische Klangreise rund um das Luzerner Seebecken

Jedes Schloss birgt einen Schatz, so heisst es. Auf Schloss Meggenhorn am Vierwaldstättersee trifft das mit Sicherheit zu. Gut versteckt im Untergeschoss der Schlosskapelle steht nämlich eine Welte-Philharmonie-Orgel. Nur gerade zwölf Stück gibt es weltweit. Sechs Orgeln befinden in Europa, zwei davon in der Schweiz. Eine der Orgeln ist öffentlich zugänglich und kann im Museum für Musikautomaten in Seewen SO besichtigt werden. Die andere, ist der besagte Schatz von Schloss Meggenhorn.


Bei trockener Witterung kann die Seitenwand des Pfeifenraums unterhalb der Kapelle für das Bespielen der Terrasse geöffnet werden. Das ist für eine Orgel natürlich aussergewöhnlich. Eine weitere Besonderheit, ist dass die pneumatische Orgel sogar selbst spielen kann. Dies verdankt sie keinem Schlossgespenst, sondern einer Apparatur, die mit gelochten Papierrollen funktioniert.

Für die Stanzung der Rollen spielten berühmte Organisten die Werke persönlich ein. Diese Papierrollen-Technik war so ausgetüftelt, dass nicht nur das Stück selbst, sondern auch die individuelle Spielweise des Musikers festgehalten werden konnte. Diese Art der Interpretations-Reproduktion erlebt heute eine Renaissance in Form des selbstspielenden Flügels «Spirio» von Steinway.

Die Orgel selbst stammt von 1926, einer Zeit, als sich die Schallaufzeichnungstechnik in den Kinderschuhen befand. Die Welte-Philharmonie-Orgel konnte also schon vor fast hundert Jahren mittels dieser Rollentechnik auf Knopfdruck ein grosses Schallereignis generieren. Dies mit einer Wiedergabequalität in punkto Schalldruck und Frequenzpektrum, der selbst die potentesten modernen HiFi-Anlagen nicht das Wasser reichen können. Welte wandte sich mit ihren Reproduktionsautomaten dann auch an einen erlesenen Kundenkreis: «den Salons der Majestäten, der Grossindustriellen und der Reichen in den Kulturstaaten der ganzen Welt» sollen die Orgeln vorbehalten sein.


Wolfgang Sieber und Benedikt Röösli setzten nun im Sommer 2024 die Welte-Philharmonie-Orgel in konzertantem Rahmen neu in Szene. Zusammen luden sie zu einer musikalische Klangreise rund um den Vierwaldstättersee. Mittels 3D-Beschallung wurden Werke von Mozart, Wagner und Rachmaninoff immersiv erfahrbar gemacht und gestaltet. Die Zuhörenden wurden aus dem Festsaal des Schlosses Meggenhorn heraus und virtuell akustisch auf eine Alp, in die Hofkirche oder vor das Kultur- und Kongresshaus KKL Luzern an den See geführt.
Für das Gelingen dieses aussergewöhnlichen Konzerts war von allen Beteiligten viel Einsatz, Neugier, Improvisations- und Experimentierfreudigkeit vonnöten.


«Wir hatten die Idee, mit immersiver Soundtechnik zu arbeiten, um damit bewusst die Möglichkeiten des Instruments, des Hauses und der Technik auszuloten.», meint Beni Röösli, Klanggestalter, Tontechniker und Tüftler aus Leidenschaft. Wolfgang und er kennen sich schon lange. Speziell an ihrer Zusammenarbeit ist, dass die beiden musik- und technikaffinen Persönlichkeiten viel Respekt für den Beruf des jeweils anderen haben.
Eine klare Rollenverteilung, wie diese sonst klassischerweise zwischen Musiker und Techniker existiert, findet man bei Beni und Wolfgang nicht. Es dominiert der Eindruck, dass zwei Geeks mit äusserst viel Kreativität, Liebe zum Detail und Freude an der Sache, auf spielerische Art und Weise gemeinschaftlich ein Projekt entwickeln.

«Mit Beni habe ich einen Profi an der Seite, der mich versteht und wir teilen eine Leidenschaft für ausgefallene, ja gar freakige Sachen. Wir müssen einander nichts vormachen und lassen uns gegenseitig den Plausch an der Arbeit. »

Wolfgang Sieber (Organist)

Zusammen stellen sie sich gerne neuen Herausforderungen und versuchen das Unmögliche möglich zu machen.

Die Welte-Orgel kennt zwei Betriebsmodi: Entweder spielt sie ab Papierrolle oder sie wird wie jede andere Orgel von einem/r Organist:in live gespielt. Wolfgang bespielte die Orgel vor allem manuell. Im Konzert wurden aber lediglich zwei historische und eine neue Rolle abgespielt. Die moderne Rolle wurde extra für den Anlass eingespielt und gestanzt.
«Natürlich merkt man, ob da eine Rolle oder ein Mensch spielt. Bei der Rolle hört man gut, dass das haptische Erlebnis fehlt.» meint Wolfgang dazu.
Beni reicherte Wolfgangs Orgelspiel mit Atmosphärenklängen zusätzlich an, um das Publikum so realistisch wie möglich an die Stationen der Klangreise zu bringen.


Beschallt wurde im Saal quadrophonisch auf drei Höhenebenen. Dadurch war eine akustische 360-Grad-Bespielung in Form einer Halbkugel gegeben. Mit der kreisförmigen Anordnung des Publikums gab es keine Hauptkonzertrichtung – alle Plätze wurden gleichwertig beschallt. Die Zuhörenden sassen inmitten der Klänge und konnten so optimal in die Hörwelten eintauchen.
Eine der Herausforderungen dieses Projekts war die objektbasierte Soundkomposition und das Handling eben jener Objekte: Im immersive Audio-Design bezeichnet ein Objekt eine isoliert vorhandene Klangquelle. Diese lässt sich im akustischen Projektionsraum der Installation frei platzieren und verschieben.
Die Knacknuss für Beni bestand darin, die einzelnen Pfeifen-Register, die alle nahe beieinander im Pfeifenraum stehen, möglichst separiert zu erfassen, um das Signal als ein Objekt handhaben zu können.


So ein Objekt war beispielweise «Pamino» mit dem Schloss vor dem Mund aus Mozarts «Zauberflöte». Diesen wollten Wolfgang und Beni speziell inszenieren und dem Sound eine eigene, präzis fokussierte Position im Saal zuordnen. «Manchmal braucht es dann auch eine Nacht Schlaf, damit für das Problem eine Lösung gefunden wird.», fügt Beni an.

Eine weitere Schwierigkeit war der natürliche Nachhall des Raumes. Dieser ist aufgrund der architektonischen Eigenschaften des Saals ausgeprägt und liess sich für das Konzert nicht wirksam dämpfen. Daraus folgte, dass die künstlich erzeugten Raumakustiken einen prägnanteren und längeren Nachhall aufweisen mussten als der im Raum bereits vorhandene.

Für Beni war es das erste immersive 3D-Projekt. Die konzeptionelle Planung, die Aufnahmen der Atmos und das komplexe Beschallungssystem mit 10.2 Ausspielwegen waren eine Herausforderung.

«Da war ich wirklich froh um Sämi Leber von der Tonspur AG, der die Anlage hier technisch betreut und in tagelanger Arbeit geplant und eingerichtet hat.»

Beni Röösli (Tontechniker)

Aus dem Pfeifenraum in der Kapelle wurden 24 Mikrofonsignale über ein Audionetzwerk in den etwa fünfzig Meter entfernten Schlosssaal übertragen.
Die Orgel wurde mit Mikrofonen von Schoeps, Neumann, Sennheiser, Brüel & Kjær abgenommen und mittels DiGiCo DQ-Rack mit 96 kHz Samplingrate konvertiert. Im Saal kamen zu den übertragenen Kanälen weitere 16 Spuren von der Audioworkstation für die Atmo-Einspieler und den künstlichen Nachhall dazu.


Auf dem Rechner lief Pro Tools als Player für die Atmos und hostete gleichzeitig die Hall-Engine Altiverb, die die Impulsantworten-basierte künstliche Raumakustik generierte. Diese für jede Szene unterschiedlichen künstlichen Raumklänge lagen mit zehn Spuren am Herzstück an: einer DiGiCo S21 Konsole.
Bei der DiGiCo S21 von einem Mischpult zu sprechen, ist in dieser Anwendung streng genommen nicht ganz korrekt: Die Balance und die Dynamik- und Klangbearbeitung wurden tatsächlich mit der Konsole gemacht. Das Panning und das Ausgangsrouting der Signale wurde aber am netzwerkfähigen Audio-Prozessor Meyer Sound Galileo Galaxy 816 vorgenommen. In Kombination mit der kostenlosen App Spacemap Go können pro Prozessor bis zu 32 Eingänge auf 16 Ausgänge frei im Raum positioniert werden. In Meggen wurden alle auszuspielenden Kanäle von MADI nach AVB Milan gewandelt und so an den Galileo Galaxy übergeben.
Das Stagerack und ein Sound Devices 970 Mehrspurrecorder wurden über Dante in das System eingebunden.
Für die Atmo-Einspieler und die künstlichen Räume nutzte Beni das in die DiGiCo S21 integrierte USB-Interface UB Madi.
Auf der Ausspielseite befanden sich zwölf Kanäle, welche diskret über Spacemap Go angesteuert wurden. Um die immersive 360°-Beschallung möglich zu machen, wurden die Lautsprecher auf drei Ebenen positioniert:

  1. Layer: Quadophonie-Anordnung auf Ohrhöhe mit Meyer Sound ULTRA-X20
  2. Layer: Quadophonie-Anordnung zwischen Ohrhöhe und Decke mit Meyer Sound UP-4slim
  3. Layer: im Zentrum an der Decke als „Voice of God“ mit zwei Meyer Sound MM-4XP

Zwei Meyer Sound 750-LFC Subwoofer dienten zur Erweiterung des Spektrums im Tieftonbereich und als LFE-Effektlautsprecher.

 

Aufgrund der hohen Qualität der Signalkette Mikrofon-Wandlung-Prozessing-Lautsprecher mussten die Signale von Beni nur minimal klanglich und dynamisch bearbeitet werden. Er setzte an den nötigen Stellen mal einen Hochpass oder zähmte den Dynamikumfang einer einzelnen, nah abgenommenen Orgelpfeife mittels sanfter Kompression.
Für die Mischung übernahm Beni die Lautstärkeverhältnisse, welche Wolfgang live mit der Registrierung an der Orgel vorgab und wirkte ausgleichend. Er mischte weiter die vorgängig aufgenommen Atmo-Einspieler als auch die künstlich generierten Räumklänge hinzu.

Nicht nur auf der technischen Seite bestanden Herausforderungen: Wolfgang spielte isoliert vom Publikum in der Kapelle. Einem Raum, der sich klanglich bezüglich Nachhall komplett anders verhielt als der Zuschauerraum. Während die Zuhörenden also Bachs «Toccata in d-moll» in der virtuell erzeugen Hofkirche lauschten, musste Wolfgang sein Spiel so anpassen, als ob er sich in ebendieser befinde.

Als grosses Finale des Konzerts fand die Uraufführung der neusten Rolle mit dem von Wolfgang arrangierten und eingespielten «Meggerlied» statt, bei dem das Publikum quasi zur vollständigen Immersion zum Mitsingen eingeladen wurde.


Eines ist sicher: So vielfältig hat die Welte-Philharmonie-Orgel bis dahin noch nie geklungen und Wolfgang fügt an: «Mit einer Orgel lassen sich sowieso schon unzählige Klänge erzeugen, die findet man sonst nur in einem Orchester oder einem Synthesizer oder halt eben in Benis Maschine, der da einfach ganz verschiedene Räume erzeugen kann.»

Weiterführende Links:

https://www.meggenhorn.ch/topics/portraet/welte-philharmonie-orgel

https://www.orgelbau.ch/de/orgel-details/800780.html

https://www.hkb-interpretation.ch/publikationen/monographien-und-sammelbaende/wie-von-geisterhand

https://www.sieberspace.ch/

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